Warum es Robo Advisor als Versicherungsberater so schwer haben – die Vermittlerrichtlinie IDD
Durch die Vermittlerrichtlinie IDD müssen Versicherer und alle an der Vermittlung Beteiligten umfassende Beratung leisten, selbst für Standardrisikoabsicherungen. Der Aufwand für Schulungen sowie die Haftungsrisiken bedrohen die etablierten Geschäftsmodelle. Die Automatisierung der Beratungsprozesse durch Robo Advice kann dieses Problem durch smarte Algorithmen nur mit viel Lernaufwand lösen.
von Henning Plagemann (Sopra Steria Consulting) und und Marco Habschick (Finanzjournalist)
Im Zusammenhang mit Digitalisierungsmaßnahmen in der Versicherungsbranche fällt schnell der Begriff Robo Advice, also die Automatisierung von Beratungsprozessen.Ein in der Theorie denkbarer Weg für die Herausforderungen der Versicherungsberatung ist, bewährte und anerkannte Beratungsmethoden des Arbeitskreises Beratungsprozesse einzubinden und über API-Schnittstellen eine Weiterverwendung der etablierten Systeme aller Beteiligten zu ermöglichen.
Eine Recherche zum Thema Robo Advice führt meistens zu Tools für Geldanlageentscheidungen. Bei der Portfoliotheorie werden Anlegerpräferenzen abgefragt und durch Algorithmen automatisch der passende Mix an Wertpapieren zusammengefügt. Das funktioniert auch für Vorsorgeprodukte der Versicherungswelt. Die Beratung klassischer Schadenversicherungsprodukte wie eine Hausrat-, Haftpflicht- und Gebäudeversicherung ist hingegen deutlich komplexer und stellt größere Anforderungen an die Automatisierung.
Künstliche Intelligenz scheitert an deutschen Versicherungsbedingungen
Kopfzerbrechen bereitet einem Robo Advisor vor allem die Bewertung der unterschiedlichen Verträge eines Kunden – vor allem der stark von Anbieter zu Anbieter abweichenden Versicherungsbedingungen. Und davon gibt es mittlerweile eine unüberschaubare Menge.”
Kopfzerbrechen bereitet einem Robo Advisor vor allem die Bewertung der unterschiedlichen Verträge eines Kunden – vor allem der stark von Anbieter zu Anbieter abweichenden Versicherungsbedingungen. Und davon gibt es mittlerweile eine unüberschaubare Menge.”
Der Grund: Seit 1994 unterliegen Versicherungsbedingungen keiner Inhaltskontrolle mehr. Die Versicherer entwickeln in der Regel eigene Bedingungswerke, die von den Verbandsempfehlungen, die ihrerseits regelmäßig verändert werden, abweichen. Häufig werden die Bedingungen durch konkretere „Besondere Versicherungs- oder Tarifbedingungen“ ergänzt, seltener auch durch individuelle Zusatzvereinbarungen. Zudem unterscheiden sich die Bedingungen der einzelnen Gesellschaften in den verschiedenen Versicherungssparten sehr stark.
Ohne ein fundiertes Studium der Bedingungen funktioniert allerdings keine regelkonforme Beratung. Die Bedingungen legen beispielsweise fest, wie und in welchem Umfang der Versicherungsnehmer im Schadensfall entschädigt wird oder auch wie er sich im Schadensfall zu verhalten hat.
Für ein automatisches Interpretieren von Bedingungstexten durch einen Robo Advisor müssen diese in einer strukturierten Datenform vorliegen. Das gibt es in dieser Form heute noch nicht.”
Die Folge: Aufgrund der Semantik der natürlichen Sprache ist die automatisierte Analyse von Verträgen und Bedingungen heute und auf absehbare Zeit nicht möglich – zumindest nicht zu vertretbaren Kosten.
Schulterblick beim Menschen
Trotz des Bedingungsdschungels besitzen Versicherungsbedingungen eine Art „Grundstruktur“, die eine automatische Analyse durch Regelerkennung zulässt. Möglich wird dadurch das Erlernen von Einzelaussagen zu ausgewählten Sachverhalten, wie sie der Arbeitskreis Beratungsprozesse für die Risikoanalyse vorgibt. Idee und Anspruch der Beratungsprozesse ist es, sämtliche für den Kunden relevanten Risiken abzufragen.
Die Lösung: Neue oder bisher unbekannte Tarifbedingungen erfasst ein menschlicher Berater im System. Damit stellt er die Ergebnisse seines manuellen Analyseprozesses – das menschliche Lesen und Interpretieren – seinem Roboterkollegen zur Verfügung.”
Per „Schulterblick“ verbessert der Robo Advisor seine Skills für eine maschinelle Bedingungsanalyse. Eine Maschine lernt sozusagen das Lesen von Bedingungstexten durch „Abschauen“ beim Menschen. Zusätzlich ist auch eine Analyse der Versicherungspolicen möglich, also ein Erkennen der Tarifbezeichnungen, Ein- und Ausschlüsse von Risiken abweichend von den zugrundeliegenden Bedingungswerken.
Komplexer Lernprozess
Die Herausforderung besteht weiterhin in der Vielfalt der Informationen: Eine menschliche Interpretation sämtlicher Bedingungswerke im Markt ist nicht realistisch, dafür gibt es zu viele Variationen. Es muss dazu eine Datenbank aufgebaut werden. Sie kann konkrete Fragestellungen beantworten, die sich aus der Analyse der Risiken des Kunden ergeben. Zum Beispiel: Ist die Photovoltaikanlage mitversichert, gegen welche Gefahren, in welcher Höhe? Der Berater oder ein Trainer mit Fachwissen muss somit konkrete Antworten erhalten, wie „Ja, Photovoltaikanlage ist versichert – in der Hausratversicherung gegen Feuer, Einbruchdiebstahl, Leitungswasser und Sturm, in der Haftpflichtversicherung die Haftung”. Erhält er keine oder eine falsche Antwort, teilt er dem System die korrekte Antwort mit und woraus sie sich herleitet – entweder durch eine explizite Aussage wie „Mitversichert ist…“ oder durch Interpretation wie „Versichert sind alle Sachen, die in einem Haushalt zur Einrichtung, Gebrauch oder Verbrauch dienen“. Das System lernt dadurch die Herleitung und kann sie auf ähnliche Fragestellungen anwenden.
Noch mehr Lernstoff für Robo-Berater durch eine weitere Branchenbesonderheit
Versicherer erklären für veraltete Bedingungsgenerationen pauschale Updates. Beispiel: Versicherer A erklärt, dass alle Privathaftpflichtverträge oberhalb einer veralteten Tarifgeneration automatisch auf das Niveau „Bedingung Neu“ angehoben werden, ohne dass dieses dem Kunden gegenüber dokumentiert wird. Der Kunde hat also eine Versicherungspolice oder sonstige Vertragsunterlagen, die einen Bedingungsstand dokumentieren, der gar nicht mehr gilt. Das ist erforderliches Fachwissen für die Beratung, wie es heute von guten Beratern mit Marktkenntnis erbracht wird und das in dieser Form auch einem Roboter mitgeteilt werden muss.
Robo Advice nur im Team mit dem Menschen effektiv
Anhand der Beispiele lässt sich erkennen, dass sich Robo Advice für Versicherer im Vergleich zum Wertpapierhandel deutlich schwieriger umsetzen lässt. Die Makler und Vermittler kennen ihre Kunden und das Kleingedruckte aus dem Effeff und haben über Jahre Vertrauen und Expertise aufgebaut – das wird sich auch in Zukunft nicht ändern und kann kaum durch eine App ersetzt werden.
Vielmehr sollten die Vermittler selbst neue Tools an die Hand bekommen, um die eigene Effizienz zu steigern.”
Dabei sollen die Teile der Beratung, die viele manuelle Arbeiten verursachen, durch Softwareroboter erledigt werden – bekannt unter Robotic Process Automation. In Kombination mit der persönlichen Beratung ergibt sich daraus eine hocheffiziente Vertriebsmethodik. Versicherer und ihre Vertriebe schaffen damit Zeit für wertschöpfende Tätigkeiten und genügen dem hohen Qualitätsanspruch an die Beratung.
Für abgegrenzte Fälle kann ein Softwareroboter weitere automatisierte Prüfungen durchführen, dem Vermittler konkrete Handlungsempfehlungen geben und die nächsten Schritte nach einem Kundengespräch abschließend durchführen. Beispiel: Wenn ein Kunde ein neues Risiko meldet, übernimmt ein Robo Advisor die Datenbankabfrage nach einer bestehenden Deckung in einem bestehenden Versicherungsvertrag des Kunden, inklusive Prüfung der nachträglichen Einschlussmöglichkeit in einen bestehenden Vertrag. Denkbar ist auch, dass eine Software im Hintergrund eine automatische Tarifkalkulation auf Basis der aktuellen Tarife im Markt durchführt.
API-Economy aufbauen
Technischer Knackpunkt ist die Integration von Robo Advice in die bestehenden Beratungs-IT-Landschaften der unterschiedlichen Vertriebspartner. Versicherer arbeiten traditionell mit verschiedenen unabhängigen Vertriebsorganisationen zusammen – alle nutzen für sie gewohnte IT-Umgebungen.
Application Programming Interfaces (APIs) können diese Aufgabe meistern. Sie ermöglichen eine vielfältige Anwendungsintegration, sowohl innerhalb von Unternehmen als auch darüber hinaus.”
Application Programming Interfaces (APIs) können diese Aufgabe meistern. Sie ermöglichen eine vielfältige Anwendungsintegration, sowohl innerhalb von Unternehmen als auch darüber hinaus.”
Strukturell ermöglichen APIs die Kommunikation zwischen Produkten oder Services und weisen der IT eine neue Funktion zu: die Bereitstellung von Daten und Services. Indem IT-Abteilungen konsequent auf den Aufbau einer API-Economy achten, erreichen Robo-Advice-Lösungen die Vermittler in ihren bestehenden Maklerverwaltungs-, Agentur- und Vertriebsanwendungen. Gewohnte Services werden in den Beratungsprozess integriert und stehen dem Vermittler weiterhin im gewohnten Umfang zur Verfügung.aj
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