Der digitale Euro als Zentralbankgeld? Abwägung von Bundesbankpräsident Dr. Weidmann
Auf der virtuellen Konferenz „Future of Payments in Europe” referierte der Präsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Jens Weidmann, über die Gestaltung der Zukunft im europäischen Zahlungsverkehrsmarkt. Er wägt Vorteile und Risiken der möglichen Einführung eines digitalen Euro als Zentralbankgeld ab und spricht über andere innovative Zahlungslösungen. Eine Zusammenfassung seiner auf Englisch gehaltenen Rede.
von Dr. Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank
An sich ist digitales Geld nicht neu. Private Haushalte und Unternehmen halten in großem Umfang Bankeinlagen, die nichts anderes sind als digitales Geld, das von den Geschäftsbanken geschaffen wird. Hinzu kommt, dass Geschäftsbanken bereits seit langer Zeit digitale Forderungen gegenüber der Zentralbank haben. Allerdings können Verbraucherinnen und Verbraucher sowie Unternehmen Zentralbankgeld bislang nur in Form von Banknoten und Münzen nutzen.Bei den Überlegungen hinsichtlich der Emission von digitalem Zentralbankgeld – oder eines „digitalen Euro“ im Fall des Eurosystems – müssen sich Zentralbanken zwei Fragen stellen: Erstens: Welchen Zweck soll diese neue Form des Geldes erfüllen? Und zweitens: Wie kann digitales Zentralbankgeld das gesteckte Ziel erreichen, ohne dass die anderen Ziele der Notenbanken wie Preisstabilität und Finanzstabilität beeinträchtigt werden?
Mögliche Vorteile von digitalem Zentralbankgeld
Digitales Zentralbankgeld gilt erstens meist als praktisch kostenloses Tauschmittel, das wirtschaftliche und finanzielle Transaktionen effizienter gestaltet. Es könnte dazu führen, dass die Produktion der damit bezahlbaren Güter steigt, sodass es letztlich eine Erhöhung der gesamtwirtschaftlichen Produktion zur Folge haben könnte. Würden beispielsweise Kleinstbetragszahlungen kostengünstiger, so könnten sich durch digitales Zentralbankgeld auch neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle durchsetzen.
Zweitens kann digitales Zentralbankgeld die finanzielle Souveränität stützen. Angesichts von Initiativen wie der Einführung von Stablecoin durch Facebook sorgt sich die Politik zunehmend, dass BigTech-Unternehmen den Zahlungsverkehr in Europa dominieren könnten. Daher wird digitales Zentralbankgeld häufig als öffentliche Alternative zu ausländischen Zahlungsinitiativen erachtet.
Drittens würde der digitale Euro Verbraucherinnen und Verbrauchern eine digitale Forderung gegenüber der Zentralbank einräumen, die genauso sicher wie Bargeld wäre. Außerdem könnten die Konsumentinnen und Konsumenten bargeldlos mit Zentralbankgeld zahlen.
Dr. Weidmann betont, dass die Zentralbanken nicht danach streben würden, Bargeld zu ersetzen, wenn sie digitales Zentralbankgeld einführen, sondern es zu ergänzen. Auch Christine Lagarde hat dies sehr deutlich gemacht: „Das Eurosystem wird weiterhin sicherstellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger jederzeit Zugang zu Banknoten haben.“
Viele teilen die Ansicht von Fjodor Dostojewski, dass physisches Geld geprägte Freiheit sei. Sie messen Bargeld einen hohen Stellenwert bei – und dies zu Recht. Für die Verwendung von Bargeld benötigt man nicht zwangsläufig eine technische Infrastruktur, und es schützt die Privatsphäre. Aufgrund regulatorischer und gesetzlicher Verpflichtungen kann der digitale Euro wahrscheinlich nicht mit dem gleichen Grad an Anonymität versehen werden.
Begrenzung der Risiken
Digitales Zentralbankgeld könnte auch Bankeinlagen ersetzen, die eine digitale Forderung gegenüber Geschäftsbanken darstellen. Wenn es attraktiver wäre, digitales Zentralbankgeld zu halten als Bankeinlagen, würden die Verbraucherinnen und Verbraucher zumindest nach und nach ihre Mittel zur Zentralbank umschichten. Ökonomen sprechen hier von einer strukturellen Disintermediation. Mit den wegbrechenden Einlagen würden die Banken eine günstige Finanzierungsquelle verlieren und müssten sich zunehmend über Anleihen oder Zentralbankkredite finanzieren. Folglich wirft digitales Zentralbankgeld die grundsätzliche Frage nach der Rolle der Zentralbank auf.
Auch wenn Bankeinlagen in normalen Zeiten attraktiver für Konsumentinnen und Konsumenten wären als der digitale Euro, beispielsweise aufgrund ihrer Verzinsung, stellt sich die Frage: Was passiert im Fall einer systemischen Krise? Digitales Zentralbankgeld wäre ein sicherer Hafen für Verbraucherinnen und Verbraucher.
Andererseits dürfte digitales Zentralbankgeld auch den Wettbewerb zwischen den Banken ankurbeln und neue Dienstleistungen fördern. Es würde als Katalysator für Fortschritte im Finanzsystem fungieren. Digitales Zentralbankgeld muss dementsprechend ausgestaltet sein und diese Aspekte berücksichtigen. Es muss Risiken für die Finanzstabilität begrenzen und mögliche Nebenwirkungen abmildern.
Die Zentralbanken sehen sich einem schwierigen Spannungsverhältnis ausgesetzt, wenn es um die Ausgestaltung von digitalem Zentralbankgeld geht. Einerseits muss es für die Verbraucherinnen und Verbraucher attraktiv genug sein, damit sie es annehmen und seinen Nutzen ausschöpfen können. Andererseits gilt auch: Ist digitales Zentralbankgeld zu attraktiv, könnte es zu Verwerfungen im bestehenden Finanzsystem kommen.
Instant Payments
Heutzutage zählen schnelle, bequeme, sichere und günstige Zahlungsmittel – auch für grenzüberschreitende Transaktionen. Die Europäische Kommission nennt die Fragmentierung des Marktes in der EU als großen Schwachpunkt. Sie merkt jedoch auch an, dass es dank der Entwicklung von SEPA beachtliche Verbesserungen gegeben habe.
Darüber hinaus hat das Eurosystem den Dienst TARGET Instant Payment Settlement eingerichtet, kurz TIPS. Er ermöglicht rund um die Uhr die direkte Abwicklung europaweiter Echtzeitzahlungen in Zentralbankgeld. Echtzeitzahlungen bedeuten, dass dem Empfänger das Geld innerhalb von maximal zehn Sekunden gutgeschrieben wird und dann umgehend weiterverwendet werden kann, ähnlich wie Banknoten und Münzen. Instant Payments sollten die „neue Normalität“ werden und kein Nischenprodukt.
Die European Payments Initiative (EPI), die Zahlungsinitiative europäischer Banken, soll unter anderem dafür sorgen, das Aufkommen an Instant Payments zu erhöhen. Die Initiative wurde von 16 europäischen Banken ins Leben gerufen und will eine neue europaweite Bezahllösung für Verbraucher und Händler anbieten. Dabei geht es darum, eine einheitliche Lösung bestehend aus einer Karte und einer digitalen Geldbörse für Zahlungen an der Ladenkasse, im Online-Handel und zwischen Privatpersonen zu schaffen. Das Projekt wird den Erwartungen zufolge im Jahr 2022 in die Betriebsphase eintreten. Es könnte beispielhaft für Zahlungslösungen des privaten Sektors mit gesamteuropäischer Reichweite sein und wird deshalb vom Eurosystem begrüßt.
Grenzüberschreitende Zahlungen
Die Europäische Kommission schlägt vor, die europäischen Zahlungssysteme an Instant-Zahlungssysteme von Drittstaaten anzubinden. Im April dieses Jahres wurde eine erste Kooperationsvereinbarung mit der schwedischen Zentralbank geschlossen, die es ermöglicht, Instant Payments in TIPS in einer anderen Währung als dem Euro abzuwickeln.
Nach Angaben der Weltbank haben Überweisungen im vergangenen Jahr ein Rekordniveau von fast 550 Mrd. US-Dollar erreicht. Zugleich sind die durchschnittlichen Kosten für Überweisungen weltweit nach wie vor hoch. Verbesserungen auf diesem Gebiet könnten die wirtschaftliche Entwicklung und finanzielle Inklusion klar verbessern und dadurch den Ärmsten der Welt helfen.
Die Bundesbank schlägt die internationale multilaterale Abwicklungsplattform „Amplus“ vor. Sie wäre auf Kleinbetragszahlungen beschränkt, die in der Regel für Überweisungen typisch sind. Bei Amplus geht es also nicht um die Errichtung einer „Schnellstraße“ zwischen Korrespondenzbanken, sondern einer „Einbahnstraße“ für Überweisungen.
Token-basierte Lösungen
Da im Zuge der Digitalisierung immer mehr Prozesse vollständig automatisiert werden, wäre ein programmierbares Zahlungsmittel praktisch und für Smart Contracts oder Machine-to-Machine-Zahlungen einsetzbar. An dieser Idee arbeiten Vertreter der Bundesbank, des Bundesministeriums der Finanzen, der Finanzwirtschaft und der Realwirtschaft.
Eine Option könnte sein, eine Brücke zwischen privaten Blockchain-Netzwerken und der vorhandenen Zahlungsinfrastruktur zu errichten. Experten der Bundesbank untersuchen die sogenannte Trigger-Lösung, die ermöglichen soll, dass Smart Contracts konventionelle TARGET2-Transaktionen auslösen. Dadurch würden Handelsaktivitäten auf Basis der Digital-Ledger-Technologie (DLT) in Zentralbankgeld abgewickelt.
Weiterhin wäre denkbar, dass Zentralbanken selbst Token ausgeben, die von Geschäftsbanken genutzt werden können. Solches Zentralbankgeld für den Wholesale-Bereich könnte zum Beispiel innovative Lösungen für den Austausch und die Abwicklung von finanziellen Vermögenswerten ergänzen.
Die Bundesbank hat die Zusammenarbeit mit Zentralbanken und anderen Institutionen intensiviert. Gemeinsam mit der Banque de France und der EZB errichtet sie einen von insgesamt sieben BIZ-Innovation-Hubs als Innovationszentrum des Eurosystems in Paris und Frankfurt. Dies wird ihr ermöglichen, mit Zentralbankexperten aus aller Welt zusammenzuarbeiten. Als Betreiber des Standorts Frankfurt will die Bundesbank digitale Innovationen in einem von Kooperation und Kreativität geprägten Umfeld vorantreiben.
Die vollständige englische Rede können Sie hier nachlesen.pp
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